Anomalie - Zyklus Thorben Perth

Donnerstag, 26. Februar 2015

Chaostheorie der Gefühle


Für viele Autisten ist die Chaostheorie logischer als Gefühle. Das heisst aber im Umkehrschluss nicht, dass Autisten keine Gefühle haben und diese auch nicht zeigen können. Wir durchleben die genau gleichen Gefühle wie andere Menschen auch.

Der Unterschied ist nur, dass wir Probleme haben, auf die Gefühle unserer Mitmenschen richtig zu reagieren. Gefühle folgen keiner Logik, darum heissen sie auch so. Gefühle machen Menschen aus. Sie zeigen die Situationen, in denen sie sich gerade befinden.

Wenn wir nur genügend Zeit haben, diese zu analysieren, dann reagieren wir auch richtig. Nur hat man im Alltag diese Zeit nicht. Situationen erfordern ein rasches Handeln und wenn wir darin gehetzt werden, erkennen wir oft Situationen nicht, in denen man eigentlich handeln und eingreifen sollte. Die andere Seite der Medaille ist, dass wenn wir merken, dass wir reagieren müssen, wir das Falsche tun. Nicht, dass wir das nicht merken würden. Doch wenn wir etwas gesagt oder getan haben, ist es schon passiert und kann nicht mehr rückgängig gemacht werden.

Da ich persönlich nur sehr ungern Fehler mache, führt dies oft dazu, dass ich eben überhaupt nicht reagiere – auch falsch.

Doch auch hinter der Chaostheorie stecken Regelmässigkeiten, so auch bei den Gefühlen. Über die Jahre habe ich gelernt, damit besser umzugehen und richtig zu handeln. Doch auch mich erwischt es immer wieder, dass ich Fehler mache. Nur ärgere mich nicht mehr so sehr darüber, entschuldige mich und lerne daraus. So tune ich mein Regelwerk, das ich mir zurechtgelegt habe, um auf meine Mitmenschen zu reagieren.

Beim Bücherschreiben kann ich zudem alle Situationen durchspielen und die jeweils Beste auswählen, welche den Geschichtsverlauf fördert. Das hilft mir in zweierlei Hinsicht: als Autor wie auch im Privatleben.

Also alles gar nicht so schlimm, solange man bereit ist, Fehler zu machen. Fehler sind dazu da, zu lernen – und Gefühle, um sich der Umwelt mitzuteilen oder Feedback zu erhalten.

Mittwoch, 11. Februar 2015

Auge um Auge


Vielen Autisten kann man es sprichwörtlich an ihrem Verhalten ansehen, dass sie anders sind. Oft wird der Blickkontakt zu anderen gemieden.

Aus meiner Sicht ist dies ein Schutzmechanismus. Denn die Augen sind das Tor zur Seele. Das Leben schnürt einem Jeden einen Rucksack aus Freude, Traurigkeit, Wut, Ohnmächtigkeit, Gleichgültigkeit, Enttäuschung, … Das liesse sich endlos weiterführen.

Ein Augenkontakt öffnet das Tor zur Gefühlswelt des Gegenübers - jahrelang angestaute Spuren an Eindrücken. Man stelle sich vor, welche Flut an Gefühlen auf einem eindringt, wenn man einen Menschen nicht kennt und wenn man diese Gefühle nicht sortieren kann. Gefühle sind für Autisten schon schwierig genug. Es ist ein Buch mit sieben Siegeln. Ein Augenkontakt fühlt sich an wie ein Dammbruch und der schmerzt in der Seele.

Auch wenn ich das Beobachten von Leuten und ihrer Verhaltensweisen liebe, so meide ich dennoch den Blickkontakt. Ich will nicht von jedem meiner Gegenüber die ganze Gefühlswelt aufgetischt bekommen, ohne dass ich oder das Gegenüber das möchte. Noch schlimmer, wenn die Gespräche mit diesen Leuten und das Gefühlte aus dem Augenkontakt diametral auseinandergehen. Das verwirrt nur. Wem soll man denn nun Glauben: den Augen oder den Lippenbekundungen?

Zum Glück habe ich bis heute gelernt, damit umzugehen – den Augenkontakt zu suchen, aber nur flüchtig, meine Schranken hochzuziehen, bevor mich der Schwall aus Gefühlen treffen kann.

Und dennoch, wenn man den Leuten, die man mag, in die Augen blickt, dann geniesst man den Augenkontakt. Denn da ist man mit der Geschichte der Personen vertraut und kann mit den aufgetischten Gefühlen umgehen.